Jörgentor Münnerstadt – mehr als nur schöne Bilder
Dieser Beitrag wird lang, es gibt viel zu sehen und auch viel zu lesen. Tatsächlich habe ich nach meinem Diplom 1994 nie wieder entworfen. Erst Ben Warnecke von AdlerOlesch Landschaftsarchitekten hatte den Mut und die Experimentierlaune mir die Leitung dieses Wettbewerbs (competitionline) anzuvertrauen.
Ich hatte einige Ideen bezüglich der Entwurfshaltung und Darstellung und ich wundere mich noch immer, daß mir da Ben freie Hand ließ. Allerdings wäre das Konzept ohne die Kritik von Ben, Judith Wild und Ulrike Bruns nie so solide geworden.
Dank des Einsatzes von Patric Peters, der immer den Überblick behielt, konnten wir die Arbeit so gut über die Ziellinie bringen. Danke! Das war eine tolle Erfahrung und macht Lust auf mehr.
Sehr früh entschieden wir uns, daß (fast) alle Darstellungen aus meiner Hand stammen sollten. Zum Glück habe ich mir vorher nicht klar gemacht, wie viel Arbeit ich mir damit aufgeladen hatte. Das ist gut so, denn das Ergebnis hat sich gelohnt.
Und dann geschah noch ein kleines Wunder, für das ich Ben besonders dankbar bin.
Das erste Mal seit Jahren begann ich Erläuterungstexte vergangener Wettbewerbe zu lesen und war entsetzt welche Textwüsten das sind. Eigentlich hätte ich gedacht, daß eine unsortierte Liste ausreichen sollte um die verschiedenen Maßnahmen zu erläutern. Allerdings hatten wir ein Problem: wir wußten, daß die Münnerstädter zu geizig waren einen Stadtgärtner anzustellen. Nur – wie vermittelt man der Jury, daß eine der wichtigsten Maßnahmen jeder Neugestaltung darin besteht sich auch darum zu kümmern?
So kam ich auf die Idee, keinen der üblichen Erläuterungsberichte zu schreiben, sondern einen Münnerstädter Fremdenführer erzählen zu lassen, wie schön der Mauerpark am Jörgentor geworden ist. In diesem Parlando konnte man die Forderung nach dem Stadtgärtner gut formulieren.
Gärten vor die Mauer – Wildnis an die Lauer
Darf ich Sie bitten?
Hier entlang, durch das alte Jörgentor – und dann: Willkommen! Willkommen im Münnerstädter Mauerpark! Auf der einen Seite des Dammes unsere schönen Mauergärten, auf der anderen Seite die wilde Lauer.
Wir können nur ahnen, wie sehr gestritten wurde, aber wie Sie sehen, konnte man sich einigen. Und vor allem konnte das Budget für die Stadtgärtnerin gefunden werden. Denn es ist doch klar: was schön bleiben soll, darum muss man sich auch kümmern. Aber nun haben wir sie und es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt.
Früher war hier eine schlimme Engstelle, wenn ein Auto entgegenkam, mussten sich die Menschen erst an die Mauerreste quetschen, und dann noch durch die kleine Öffnung mit Schikane. Nun schauen Sie, es ist so großzügig wie es die Verhältnisse erlauben…
Als Reminiszenz an unsere „Schutzfrau von Münnerstadt“ und das Heimatspiel – haben wir ein Motiv dieser Zeit aufgegriffen, wir nennen sie scherzhaft „Spießgesellen“, das sind schlanke Holzstangen, hübsch bemalt, die hier den Straßenraum ordnen und ein Thema anklingen lassen, das Ihnen wieder begegnen wird. Meine Tochter nennt sie lieber „Zuckerstangen“, aber jeder findet eben eigene Bilder.
Das Stück Straße zwischen dem Tor und dem Turm zeigt dasselbe durchlässige und glatte Natursteinpflaster wie der Festplatz, der sich hier gleich anschließt. Hier finden – insbesondere in den heißen Sommermonaten (die ja nun schon im Mai beginnen) wunderbare Abendveranstaltungen statt: Feste, Konzerte und Soireen und natürlich auch das Fest unserer Münnerstädter Schutzfrau. Der Baumbestand hier lädt ja dazu ein und die Nöhe zum Wasser. Gleich hier rechts kommt ihr über eine breite Stufenanlage runter zum Talwasser, um eure sommerheißen Füße im Bach abzukühlen.
Haben Sie Zeit hier den Abend mit uns zu verbringen? Werfen Sie einen Blick ins Astwerk – sehen Sie, wie sich Leinen von Baum zu Baum schwingen? Sie werden staunen, welch wunderbare Lichtstimmungen mit modernen LED-Lichterketten möglich sind. Dabei verbrauchen die sehr wenig Strom, schalten sich nur ein, wenn Bürger hier entlang gehen und schützen damit tierische Mitbewohner. Und hier rechterhand wurde auf Anregung der Altstadtfreunde Münnerstadt das alte Turmfragment mit einem eleganten Dach und Treppenstufen versehen. So kann man den Turm nun direkt erleben.
Lassen Sie nun den Blick nach Norden schweifen: der Dammweg scheidet den Park in eine wilde Schwemmlandseite und das Kulturland der Gärten vor der Mauer. Der Weg wurde schön glatt gestaltet, dass auch gehbehinderte Menschen bequem neben dem Kinderwagen ihrer Enkel flanieren können.
Linkerhand weicht eine wassergebundene Decke dem Natursteinpflaster und lädt zu nachmittäglichen Boule-Spielen im Schatten ein. Gestern waren die Bewohner des Seniorenheims Juliusspital hier und haben den neuen Park über den grünen Klee gelobt. Auf der stadtseitigen Seite des Damms können Sie auf einfachen Sitzstufen verweilen, während auf der „wilden“ Seite „angeschwemmte“ Holzstämme im hohen Gras liegen – dort lebt eine muntere Mischung von Pflanzen und Insekten. Kinder lieben es auf dieser Seite Entdecker zu spielen.
Nach Norden folgt dem Boule-Bereich der Kinderspielplatz, der das Motiv der „Spießgesellen“ aufgreift in denen ein Mini-Klettergarten mit historisch anmutenden Holzelementen gebaut wurde. Dies kam bei der Kinderbeteiligung mit den Schülern der Freiherr-von-Lutz-Grundschule und der KiTa St. Maria Magdalena besonders gut an. Sie lieben es, in mittelalterliche Welten einzutauchen.
Die Bürger der alten Städte hatten ihre Gärten vor den Mauern. Und das führen wir wieder ein – alte, widerständige Obstsorten stehen nun auf der Streuobstwiese zwischen dem Spielplatz und den Privatgärten an der Meininger Straße. Die Stadtgärtnerin mäht nur wenige Mal im Jahr die Wiese darunter, je nach ihrer Lust und Laune entstehen dann Labyrinthe, Gassen oder Muster. Im Frühling blühen dort die wilden Tulpen – ein bezaubernder Anblick. Besonders gefreut hat sich der Imkerverein Münnerstadt. Sie träumen schon von einem Münnerstädter Mauerhonig.
Die Stelle an der das Talwasser in die Lauer mündet markiert ein Aussichtspunkt aus mehreren, flachen Felsen. Die Kinder nennen ihn liebevoll ihren „Affenfelsen“. Aber auch die Größeren genießen von hier aus den schönen Blick auf die Silhouette der Altstadt mit der Kirche und den Stadttoren. Einige Stufen aus Bruchsteinen führen flankiert von Trauerweiden und Erlen ans Wasser. Dieser Ort entwickelt sich langsam zu einem Geheimtipp für Familien.
Um auf die nordwestliche Seite des Parks zu gelangen, queren wir die Meininger Straße. Das war eine gefährliche Stelle für Fußgänger, inzwischen verzahnt eine Straßenverengung und ein Belagswechsel die beiden Seiten. Weitere „Spießgesellen“ wecken schon aus einer gewissen Entfernung die Aufmerksamkeit der Autofahrer. Nördlich des Dammwegs breitet sich nun vor unseren Augen das Eldorado der sportbegeisterten Münnerstädter aus. Unter den alten Bäumen schlängelt sich ein Pumptrack mit einer waghalsigen Steilkurve über dem Fluss! Die Skateanlage umfasst das Multisportfeld mit Fußballtoren und Basket-Hoop sowie die Calisthenics Anlage. Hier darf es laut und rowdy werden. In den letzten Sommerferien gab es hier vor Ort einen großen Workshop mit der Jugend von Münnerstadt. Sie hatten einiges an Wünschen mit dabei. So wollten Sie unbedingt ihre geliebten Skateanlagen behalten. Zum Glück konnten wir diese integrieren. Es gibt sogar ein Arbeitsmodell der Jugendlichen von Ihrem „Sport-Dschungel“ aus Gips, Holz und Pappe, welches Sie immer noch im Jugendraum in der Zehntscheune besichtigen können.
Lassen Sie uns den Weg zurück entlang der Mauer nehmen! Auf dem gesägten Natursteinpflaster schlendern wir im Schatten der Mauer. Der Raum öffnet und schließt sich, Variationen von Steinbänken laden zum Plauschen ein. Und natürlich dürfen Bänke an der Mauer zwischen Kletterrosen nicht fehlen. So dauert es nicht lange und wir finden uns wieder auf dem Festplatz ein – Zeit für ein kühles Getränk! Und wem die Blase drückt, dort drüben ist unser neues WC…
Beurteilung durch das Preisgericht
Eine ambitionierte Arbeit, hinter deren opulenter graphischer Darstellung ein schlüssig entwickeltes Konzept mit hoher Qualität und intensivem Bezug zu Ort und Landschaft erkennbar wird. Bezeichnend ist die Stringenz mit der die Abfolge von Platzbereich am Jörgentor, Spielbereich und sogenannten Kulturgärten auf der einen Seite des Dammes und „Wildem Schwemmband“ mit Wasserzugang und Naturspielelementen auf der anderen Seite durchgehalten wird. Ein spannungsvoller Kontrast, der vielfältige Atmosphären und Erlebnisse generieren kann. Der Baumbestand wird erhalten und zum Teil gärtnerisch verdichtet, was zum Fehlen von nutzbaren offenen Wiesenflächen führt. Dies wird als Mangel empfunden. Der Sport- und Freizeitbereich im Norden ist gut gestaltet, doch Pumptrack und Multifunktionsfeld vereinnahmen die gesamte Fläche und lassen kaum Raum für weitere Nutzungen. Der Übergang über die Meininger Straße wird mit einem Materialwechsel ausreichend markiert. Hingegen ist die Führung des Radweges direkt zur Straßenkreuzung nicht attraktiv und bringt keine Vorteile für das Radwegenetz. Der Entwurf sieht nur geringe bauliche Eingriffe in den Hochwasserdamm vor. Die Trittsteine und Sitzstufen beim Zugang zur Lauer haben keine nachteiligen Auswirkungen auf deren Abflussverhalten. Leider ist der Darstellung „Wildes Schwemmband“ nicht zu entnehmen, wie die einzelnen Bestandteile befestigt sind. Ein Abschwemmen dieser Teile im Hochwasserfall ist unbedingt zu vermeiden. Eine sehr eigenständige Arbeit, die dem Grüngürtel einen hohen Wiedererkennungswert verleihen kann. Die vorgeschlagene, teilweise sehr intensive Ausstattung und Bepflanzung wird allerdings im Preisgericht kontrovers diskutiert und könnte die Wirtschaftlichkeit in Erstellung und Unterhalt nachteilig beeinflussen.